Ein Jahr nach der Ahrflut

Am 14. und 15. Juli 2021 haben heftige Regenfälle eine historische Hochwasserkatastrophe im Westen Deutschlands ausgelöst. Der Wiederaufbau wird noch Jahre dauern. Doch wie kam es zur Flut, was sollten wir daraus lernen und welchen Einfluss hatte der Klimawandel?

Zerstörte Brücke

Die Flutwelle an der Ahr im Juli 2021 hat große Schäden hinterlassen und sogar massive Brücken mit sich gerissen.

Quelle: WetterOnline (bei Verwendung bitte angeben)

Zum ersten Jahrestag der Ahrflut in der kommenden Woche blickt WetterOnline auf die Wetterlage zurück und erklärt, welche Faktoren zu dem verheerenden Hochwasser führten. Der extreme Starkregen wurde bereits Tage zuvor gut vorhergesagt und trotzdem gab es sehr viele Todesopfer. Da mit dem Klimawandel die Wahrscheinlichkeit und die Intensität solcher Ereignisse weiter zunehmen, muss die Bevölkerung stärker für Extremwetter sensibilisiert werden und Warnungen müssen zudem effektiver kommuniziert werden.

Wie kam es zu der extremen Wetterlage?

Björn Goldhausen, Pressesprecher und Meteorologe von WetterOnline: „Der Auslöser war Tief BERND, das sich ab dem 13. Juli vom Golf von Genua nach Mitteleuropa schob. Das Tief führte warme und feuchte Luft vom Mittelmeer über den Balkan nordwärts. Auf dem Balkan wurden zeitgleich hohe Temperaturen nahe 40 Grad gemessen. BERND lenkte anschließend die Luft weiter über Polen, Ostdeutschland und über die südliche Ostsee. Dort konnte die Luftmasse aus dem überdurchschnittlich warmen Ostseewasser weitere Feuchtigkeit aufnehmen. Im Westen Deutschlands traf nun die energiegeladene Luft auf kühlere und damit schwerere Luft. ‚Zutat‘ Nummer eins für die Unwetterlage war also die feuchtwarme Luft.“

 

Zu dieser Zutat kam noch eine weitere entscheidende hinzu. Goldhausen weiter: „Das zweite Element war eine sogenannte blockierende Wetterlage. Tief BERND war umzingelt von zwei Hochdruckgebieten und kam kaum von der Stelle. Es kreiste mehrere Tage hintereinander über dem gleichen Längengrad. Somit brachte es zunächst im Westen und im Verlauf auch in Sachsen sowie in den Alpen kräftige Niederschläge. Diese Blockadewetterlage entsteht dann, wenn der Jetstream stark mäandriert. Das passiert im Sommer nicht selten, zuletzt sind solche blockierenden Wetterlagen aber häufiger geworden. Zudem trug die Geografie der Eifel dazu bei, dass sich die aus Nordosten kommenden Niederschläge am Nordrand des Mittelgebirges noch einmal verstärkten, da die Luft zum Aufsteigen gezwungen wurde.“

Welche Rolle spielt der Klimawandel?

Ein Hochwasserereignis ist zunächst einmal auf die extreme Wetterlage zurückzuführen, die es auch in der Vergangenheit immer wieder gab. Im Ahrtal sind beispielsweise ähnliche Hochwasserereignisse mit zerstörerischen Folgen aus den vergangenen Jahrhunderten bekannt.  Im Bereich der Attributionsforschung beschäftigen sich Wissenschaftler allerdings seit einigen Jahren mit dem möglichen Einfluss des Klimawandels auf extreme Wetterereignisse wie Dürren, Hitzewellen oder Starkregen. Das Ergebnis zeigt, dass extreme Regenfälle wie im letzten Sommer durch den Klimawandel wahrscheinlicher und intensiver werden.  „In einer sich weiter erwärmenden Welt muss man also häufiger mit derartigen Ereignissen rechnen. Pro Grad Erwärmung kann die Luft nämlich sieben Prozent mehr Wasserdampf aufnehmen. Warme Luft allein reicht jedoch noch nicht aus. Für Starkregen muss diese Luft durch beispielsweise ein Tief angehoben werden. In den vergangenen 60 Jahren zeigte sich bereits eine Zunahme der Wetterlage ‚Tief Mitteleuropa‘ um ca. 20 Prozent. Dennoch bleibt eine differenzierte Betrachtungsweise wichtig. Dass der Klimawandel bei solchen Ereignissen seine Finger mit im Spiel hat, steht außer Frage. Häufig ist der Faktor Mensch aber das Zünglein an der Waage – siehe Erftstadt, wo durch Erosion Häuser in eine benachbarte Kiesgrube gespült wurden. Hier war nicht der Klimawandel der Verursacher, sondern die Selbstüberschätzung des Menschen“, so Goldhausen.

Wo fiel der meiste Regen?

Die größten Regenmengen fielen etwa vom südlichen Rand des Ruhrgebiets über die Kölner Bucht bis zur Eifel. Innerhalb weniger Stunden beziehungsweise Tage fiel an einigen Orten das Doppelte des mittleren Juliniederschlags. Es wurde zwar kein deutschlandweiter Niederschlagsrekord aufgestellt, für die genannte Region stellten die Regenmengen klimatologisch gesehen allerdings mindestens ein Jahrhundertereignis dar. Das bedeutet, dass so starker Regen im Schnitt nur alle 100 Jahre oder sogar noch seltener auftritt. Im Gegenzug bedeutet dies dennoch nicht, dass so ein Ereignis innerhalb der nächsten Zeit ausgeschlossen ist.

 

Maximale Regenmengen vom 13. bis 15. Juli 2021:

  • 241 l/m2 (22 Std.)             Hagen-Holthausen (Nordrhein-Wesfalen)
  • 172 l/m2 (72 Std.)             Marlsburg-Marzell (Baden-Württemberg)
  • 170 l/m2 (48 Std.)             Köln-Stammheim (Nordrhein-Westfalen)
  • 168 l/m2 (48 Std.)             Wipperfurth-Gardeweg (Nordrhein-Westfalen)
  • 166 l/m2 (48 Std.)              Kall-Sistig (Nordrhein-Westfalen)

War der Starkregen vorhersehbar?

„Wir Meteorologen waren nicht überrascht, dass es viel geregnet hat. Die Niederschlagsmengen von 100 bis 200 Litern Regen pro Quadratmeter und das Gebiet waren Tage vorher perfekt vorhergesagt, aber dass die Ausmaße so folgenreich waren, hätte niemand erwartet“, sagt Goldhausen. Im Gegensatz zu kleinräumigen Gewittern mit lokalem Starkregen zog bei Tief BERND ein großflächiges Starkregengebiet über den Westen Deutschlands hinweg. Diese sind in der Regel sehr gut vorherzusagen und die Vorwarnzeit ist entsprechend lang. Die Höhe der zu erwartenden Flutwelle ist aber von vielen weiteren Faktoren wie Geländebeschaffenheit, Bodenfeuchte und Flussverlauf abhängig und daher deutlich schwerer zu prognostizieren.

Welche Faktoren führten zur katastrophalen Flut?

Zusätzlich zu der Wetterlage haben weitere Faktoren das Auftreten des historischen Hochwassers beeinflusst. Goldhausen erklärt: „In begradigten und kanalisierten Bächen und Flüssen fließt das Wasser viel schneller ab und stromabwärts steigt die Überschwemmungsgefahr. Zudem werden immer mehr Flächen versiegelt. Wasser, das nicht im Boden versickern oder sich über Auenflächen ausbreiten kann, schwillt zu einer oberirdischen Flut an, die sich dann durch asphaltierte Straßen ihren Weg bricht. Genau dieser Faktor hat im Ahrtal wohl zu der historischen Flut geführt.“ Bereits am Tag vor der verheerenden Katastrophe am 14. Juli gab es in dem betroffenen Gebiet schon ergiebige Niederschläge, sodass die Böden ohnehin gesättigt waren und kaum weiteren Regen aufnehmen konnten.

Was lernt man aus der Katastrophe?

Die korrekte Vorhersage von Wetterereignissen ist jedoch nur bei effektiver Kommunikation an die Bevölkerung eine Hilfe zur Vorbeugung von Katastrophen. Goldhausen bekräftigt: „Es kommen auch in Zukunft weitere Extremwetterereignisse auf uns zu. Die Bevölkerung muss dafür stärker sensibilisiert und über die Folgen und Verhaltensweisen bei den einzelnen Wetterelementen aufgeklärt werden. Dabei sollten Warnungen aus seriösen Quellen ernst genommen werden. Dies kann dabei helfen, die Opferzahlen in Zukunft deutlich zu reduzieren. Letztlich ist nicht der Klimawandel ‚schuld‘ an solchen Katastrophen. Sowohl der Eingriff des Menschen in die Natur als auch mangelhafte Vorbereitung müssen in Betracht gezogen werden. Gerade bei Extremwetterlagen ist es wichtig vom extremsten und kaum vorstellbaren Fall auszugehen.“